Woyzeck ist ein einfacher Soldat. Er tut Dienst.
Seine Geliebte Marie hat ein uneheliches Kind von ihm.
„Woyzeck, er hat keine Moral!“
Der Bub schreit.
Der Sold reicht hinten und vorne nicht.
Woyzeck nimmt beim Doktor an medizinischen Experimenten teil. Dafür gibt es Geld.
„Er ist ein interessanter Kasus. Halt er sich brav.
Zeig er seinen Puls!“
Er rasiert den Hauptmann. Auch dafür gibt es Geld.
„Langsam Woyzeck, langsam. Er sieht immer so verhetzt aus!“
Es ist Regimentsfest in der Garnisonsstadt.
Der Tambourmajor kommt mit seinen Musikanten in die Stadt.
„Ein schöner Mann. Wie ein Baum!“
Marie verfällt ihm. Woyzeck wird hirnwütig.
Der Jud hat ein Messer für Woyzeck.
„Der Mond geht auf, wie ein blutig‘ Eisen.“
Woyzeck, ist ein Werk des deutschen Dramatikers und Dichters Georg Büchner, der – angeregt durch Kriminalfälle seiner Zeit – mit der Niederschrift 1836 begann. Bei seinem frühen Tod im Jahr 1837 blieb das Werk als Fragment zurück. In unterschiedlichen Szenenabfolgen wird es seither auf vielen Bühnen immer wieder gespielt.
Woyzeck ist nach The Black Rider und Alice die dritte Zusammenarbeit des Regisseurs Robert Wilson mit dem Songwriter Tom Waits.
Am 18. November 2000 feierte das von Robert Wilson so genannte „art musical“ seine Uraufführung am Betty Nansen Theater in Kopenhagen. Die Aufführung wurde mit Lob überschüttet und traf auf ihrer Europatournee auf restlos ausverkaufte Häuser.
Die insgesamt düstere Stimmung der Kompositionen, die Waits größtenteils gemeinsam mit seiner Ehefrau Kathleen Brennan schrieb, entspricht der Gemütsverfassung, in der sich die Titelfigur in Georg Büchners Drama befindet. Nach den „Comedian Harmonists“, „Indien“ und „Die kleine Entführung aus dem Serail“ ist „Woyzeck“ die nächste Musiktheaterproduktion im Theater am Neunerplatz.
Regie: Erhard Drexler, Musikalische Leitung: Tobias Debold Choreographie: Caro Barczyk, Bühne: Sven Höhnke
Mitwirkende: Hermann Drexler, Anne Hannsen, Caro Barczyk, Martin Hanns, Achim Beck, Andreas Neumann, Charlotte Emigholz, Tom Langheinrich
Musiker: Julius Herion, Michael Müller, Sophia Scheffels, Hans-Peter Krause, Tobias Debold
Theater am Neunerplatz: Woyzeck macht Gänsehaut
Herzlichen Glückwunsch, Neunerplatz! Das Theater wird 30 und hat sich selbst ein fulminantes Geschenk gemacht: Woyzeck von Tom Waits, Robert Wilson und Georg Büchner setzt zum Jubiläum einen Glanzpunkt auf den Spielplan.
Am Freitag hatte das „Art Musical“ unter der Regie von Erhard Drexler Premiere. Einfach war es nicht gewesen, das von Starregisseur Robert Wilson gemeinsam mit Tom Waits und dessen Frau Kathleen Brennan auf Basis von Georg Büchners Bühnenklassiker entwickelte Werk hierher zu bekommen (wie hier zuvor berichtet). Der Aufwand hat sich indes gelohnt: Das Publikum im ausverkauften Neunerplatz war gebannt und begeistert.
Büchners Textfragment ist (noch vor Goethes Faust) das meistgespielte deutsche Drama im Ausland. Generationen von Schülern haben es gelesen, seit Büchner es 1837 hinterließ. Ihm, dem Dramatiker, Mediziner und Menschenrechtler, ging es zweifellos um die Auswirkung einer gnadenlosen Ständegesellschaft auf einfache Leute wie den ehemaligen Soldaten Woyzeck, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen muss. Mehr noch: Um Geld für seine geliebte Marie und den gemeinsamen Sohn zu beschaffen, nimmt er an einem fragwürdigen „wissenschaftlichen“ Experiment teil, verkauft damit noch den Rest an Würde und Verstand.
Opfer der sozialen Missstände
Zunehmend verwirrt und paranoid wird Woyzeck zum Opfer der sozialen Missstände, die ihn letztlich zum Täter machen. In den von Waits und Brennan mehr als anderthalb Jahrhunderte später verfassten Texten ist die Welt härter als je zuvor: „One thing you can say about mankind – there is nothing kind about man“ fasst es zusammen: Wenn man etwas über die Menschheit sagen kann, dann dass am Menschen nichts Freundliches ist. Die englischen Texte müssen übrigens englisch bleiben, das hat der Verlag bestimmt. Übersetzungen, auch im Programmheft, darf es nicht geben. Gut, dass die Musik für sich selbst spricht.
Großartig umgesetzt von den Schauspielern, die auch gesanglich tolle Leistungen bringen und hervorragend gespielt von den fünf Musikern um Tobias Debold, die mit Streich- und Blasinstrumenten, Klavier, Gitarre, Schlagwerk und sogar einer singenden Säge sehr viel zum Gelingen der Inszenierung beitragen. Wenn Hermann Drexler als Franz Woyzeck über seine Liebe zu Marie singt, macht das Gänsehaut. Er ist hier der einzige Romantiker in einer kalten, harten Welt aus lauter Realisten, zu denen letztlich auch Marie (reizend und abgebrüht: Anne Hansen) gehört. Achim Beck (Hauptmann), Martin Hanns (Tambourmajor), Charlotte Emigholz, Thomas Langheinrich und allen voran Andreas Neumann als schräger Schausteller und Professor bringen skurrile Gestalten auf die schlichte, aber perfekt beleuchtete Drehbühne. Die Welt dreht sich um alle herum wie ein aberwitziges Jahrmarktskarussell.
Mit Carolin Barczyk (die auch den Andres spielt) hat eine erfahrene Choreografin dafür gesorgt, dass auch das Durcheinander zum Genuss wird. Viele Momente dieser grandiosen Inszenierung brennen sich ins Gedächtnis ein. Große Bilder. Große Emotionen. Große Musik. Kleine Bühne? Ja. Aber ganz großes Theater.