Nach „Lucifers Matches“ und „Struwwelpeter“ setzt das Theater am Neunerplatz seine Reihe der poetisch-surrealen Musiktheaterproduktionen fort:
„Revue im Niemandsland“ ist eine musikalische Reise mit den zeitlos wunderschönen Liedern von Rio Reiser und TonSteineScherben, live gespielt von „Rios Raben“, einer eigens für dieses Projekt zusammengestellten Band.
Gemeinsam mit der legendären Anarcho-Kultband TonSteineScherben war Rio Reiser für eine ganze Generation das Sprachrohr einer gesellschaftlichen Revolte, die sowohl die politische als auch die zwischenmenschliche Situation der 70er und frühen 80er Jahre anprangerte. Auf eindrucksvolle Art und Weise hat Rio Reiser diese Missstände im menschlichen Makro- und Mikrokosmos in seinen Texten aufgearbeitet. Als er 1996 im Alter von 46 Jahren viel zu früh starb, hinterließ er eine Fülle von Songs, die aufgrund ihrer Wortgewalt und/oder ihrer spröden Zärtlichkeit bis heute nichts von ihrer Eindringlichkeit und ihrem Zauber verloren haben.
Eben diese Poesie mit ihren oft geradezu traumhaft-rauschhaften Bildern, die sowohl in den Texten als auch in der Musik zum Ausdruck kommen, greift die Inszenierung auf. Sie führt dem Zuschauer diese musikalische Lyrik mit theatralischen Mitteln und Live-Musik vor Augen. Bewusst wurde auf die großen „Reiser“ und eine aufwendige Konzertanz verzichtet, um der Aufführung den intimen Rahmen zu geben, den sie benötigt, um sich zu entfalten.
Inszenierung:
Markus Czygan, Wolfgang Salomon, Claudia Rath
Mitwirkende:
Jürgen Thürauf (git), Moritz Erbach (keyb), Birgit Förstner / Jan Ruf (cello), Jawed Iqbal (dr), Tommi Neubauer (bass),
Frido Müller & Markus Czygan (voc)
Schön was los im Niemandsland
Ein Mann im langen Ledermantel läuft rauchend durch die Nacht, in die Dunkelheit kräht ein Rabe. Es ist eine düstere Filmszene, die die „Revue im Niemandsland“ einleitet. Plötzlich steht der Mann im Film vor dem Eingang zum Theater und kurz darauf leibhaftig auf der Bühne des zur Premiere ausverkauften Neunerplatz-Theaters.
Der doppelte Rio Reiser in der !Revue im Niemandsland“ des Theaters am Neunerplatz: Friedo Schaff (links) und Markus …
Dort wird er schon von der Band „Rios Raben“ erwartet, die ihn (Friedo Schaff) und den zweiten Rio-Reiser-Darsteller Markus Czygan erwartet. Der schwebt kurz darauf fast nackt in einem Kronleuchter hängend auf der Bühne ein. Eine von vielen zündenden Regie-Ideen, die diesen Abend so kurzweilig und abwechslungsreich machen werden.
Rio Reiser, der vor elf Jahren im Alter von nur 46 Jahren starb, war eine der schillerndsten Figuren der deutschen Rockszene. zuerst gelangte er mit den Polit-Rockern „Ton Steine Scherben“ zu Ansehen in der linken Szene, ehe er sich ins große Rock-Geschäft stürzte und Hits wie „König von Deutschland“ produzierte. Rio war in vielfacher Hinsicht eine ambivalente Persönlichkeit, irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn.
Die Revue trägt dem Rechnung, indem die Rio-Rolle doppelt besetzt ist. Friedo Schaff gibt dabei meist den sanft-melancholischen, Markus Czgan den rockig-rotzigen Rio Reiser – und beide machen ihre Sache exzellent und authentisch, immer kompetent begleitet von Rios Raben. Glücklicherweise hat man erst gar nicht versucht, die Scherben- oder Rio-Songs zu covern, sondern Band und Protagonisten drücken den einzelnen Liedern ihren ganz eigenen Stempel auf. Das gilt auch für die Song-Auswahl, die sich nicht so sehr auf Reiser-Hits konzentriert, sondern charakteristische und ausdrucksstarke Stücke aus allen Schaffensperioden Reisers präsentiert.
Natürlich gibt es die Immer-Noch-Gänsehaut-Ballade „Junimond“, die vom Premierenpublikum mit Riesenapplaus bedacht wird. Andächtige Stille herrscht, wenn Friedo Schaff die „Vier Wände“ besingt, und natürlich gibt es zum Abschluss mit „Zauberland“ noch einen der großen Rio-Hits. Stürmischer Applaus und stehende Ovationen sind die gerechte Belohnung. Und als der doppelte Rio dann noch „Halt dich an deiner Liebe fest“ anstimmt, kennen die Besucher kein Halten mehr und singen kräftig mit.
Und immer wieder sind es diese großartigen Regie-Ideen, die die Revue nicht zu einer bloßen Aneinanderreihung von 15 Liedern machen, sondern sie in einen stringenten Rahmen einbetten. Großartig, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn die beiden Rio-Darsteller bei „Geld“, das nicht glücklich macht, im Publikum Scheine und Münzen einsammeln, um es anschließend wieder in den Zuschauerraum zu werfen – nicht ohne grinsend eine Banknote zu verbrennen. Beeindruckend auch die Detailversessenheit: Weil der echte Rio immer barfuß lief, tun dies auch Schaff und Czygan. Und auch die bei den Scherben wichtigen Tarot-Karten spielen immer wieder eine Rolle.
Niemand, der sich für gute Rockmusik interessiert, sollte diese Reise ins Niemandsland versäumen. Das kleine Theater in der Zellerau bietet mit seiner Revue ein Bühnenerlebnis der besonderen Art mit zwei herausragenden Hauptdarstellern.